Der Zauberstab versteinert die Erwachsenen, damit sie die Klappe halten…
Die Veranstaltungsform TUSCH-Plenum bietet einmal im Jahr die Gelegenheit zum Austausch über aktuelle theaterpädagogische Themen und Fragen zum derzeitigen Stand von TUSCH an den Theatern und Schulen. Da erfolgreiche TUSCH-Partnerschaften auch ein Spiegel des Rollenverständnis im Umgang mit Kindern und Jugendlichen darstellen, ist die Sachkenntnis aller bei diesem Programm Beteiligten, Künstler*innen, Lehrkräfte, Theater- und Schulleitungen, bei dieser Veranstaltung für die Diskussion von besonderer Bedeutung. In diesem Jahr, der 17. Runde TUSCH, ging es um die Fragen, wie es gelingen kann, Kindern und Jugendlichen mehr Mitgestaltung und Mitbestimmung zu ermöglichen und wie Partizipation und Demokratiebildung zusammenhängen. Diesen Fragen gingen die Teilnehmenden in einem Workshop, geleitet von zwei Expertinnen in dem Bereich, nach. Miriam Eicke, freiberufliche Fortbildnerin und M.A. Inclusive Education, und Arnika Senft, empowerment Pädagogin und Kunst- und Kulturvermittlerin (Jugend- und Sozialamt / Kinderkultur) konnten als Workshopleiterinnen gewonnen werden.
Begrüßungen
Die Teilnehmenden wurden von der Leitung des Schultheater-Studios, Frau Mona Baijal und der Leitung der Theaterpädagogik, Frau Nina Natzke begrüßt. Die starke Nachfrage nach Kultureller Bildung nach Corona wurde betont und die positive Rolle, die TUSCH dabei spielt. Dr. Kristina Stein-Hinrichsen vom Büro Kulturelle Bildung am Hessischen Ministerium für Kultur, Bildung und Chancen stellte heraus, wie wichtig und „unbezahlbar“ zeitgemäße Bildungsarbeit in der „Bildungskrise“ geworden ist und welch einen hohen Beitrag TUSCH dazu trägt. Auch Dr. Gundula van den Berg, die Programmleitung von TUSCH begrüßt alle Anwesenden herzlich und stellt die beiden Workshopleiterinnen vor.
Filmprojekt
Zur Einstimmung in das Themenfeld „Mitgestaltung und Mitbestimmung“ wurde ein acht-minütiger Film gezeigt, der in Kooperation der Stadt Frankfurt, der Frankfurter LeseEule, dem internationalen Kinderhaus und HeartbeatEdutainment entstanden ist. Mit viel Rhythmus und Musik beschreiben die Kinder ihre Situation und ihre Visionen und Träume als Bewohner*innen des Bahnhofsviertels. Arnika Senft, die im Rahmen der LeseEule an dem Projekt beteiligt war, stellte, gleichsam als Denkanstoß, die Frage: War das ein partizipatives Projekt? bevor Miriam Eicke eine auf das Wesentliche reduzierte „Partizipationspyramide“ erläuterte.
„Partizipation“ ist ein Begriff, der derzeit, gerade auch in der Kulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche, vielfach als „Label“ gebraucht wird. Uns interessiert es in diesem Workshop, der Frage nachzugehen, was Mitgestaltung, Mitbestimmung bis hin zur Selbstverwaltung konkret und im Einzelnen für unsere Arbeit bei TUSCH oder in anderen Theaterprojekten bedeutet oder bedeuten könnte. Das Vorbereitungsteam aus Miriam Eicke, Arnika Senft und Gundula van den Berg hat im Vorfeld erwogen, auch Kinder und Jugendliche aus den Projekten mit einzuladen, dies aber auf den Folgeworkshop vertagt. Denn zuerst sollte es darum gehen, dass sich die Teilnehmenden in den Projekten einmal selbstkritisch mit dem Themenkomplex, der eigenen Standortbestimmung und den sich wiederum daraus ergebenden Konsequenzen für die Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen beschäftigten und ihre Haltungen in geschütztem Raum miteinander teilen.
Arbeit in Gruppen
Alle vier Arbeitsgruppen, die zuvor durch Spielkarten ausgelost wurden, haben sich zunächst mit der Pyramide auseinandergesetzt. Klar wurde, dass es Zeit und somit auch Ressourcen bedarf. Konzepte für die gruppendynamischen Prozesse müssen entwickelt werden, um Partizipation auf allen Stufen einzuüben. Es wurde jedoch auch kontrovers diskutiert, und das begann schon bei der Gegenüberstellung vom momentanen „Ist-Zustand“ zum „Soll-Zu-stand“. Hier sollen nur einige prägnante Positionen kurz umrissen werden, denn die Diskussionen innerhalb der einzelnen Gruppen waren zu vielfältig und komplex, als dass sie in einem kurzen Bericht angemessen wiedergegeben werden könnten.
Für manche Gruppen war Selbstverwaltung des Lebens durch Kinder in möglichst großem Rahmen bis in die oberste Stufe (Selbstverwaltung) wünschenswert, bei anderen Gruppen waren auch kritische Haltungen im Raum: An welcher Stelle im gemeinsamen Prozess ist Partizipation sinnvoll und umsetzbar? Und: Gibt es nicht auch ein „Recht auf Nicht-partizipieren oder ein Schutz vor Überforderung“? Was hieße es für die Lehrkräfte und Künstler*innen, wenn auf der Stufe der Selbstverwaltung sie womöglich keine Auswahlmöglichkeiten mehr geben, keine Hilfestellungen leisten und keine Regie- und Dramaturgie-Entscheidungen mehr treffen könnten? Wie gehen die Spielleiter*innen mit der Entscheidung um, nicht präsentieren zu wollen? Die Pyramide hat das Denken der Teilnehmenden sehr angeregt: Sollte die eigene Haltung nicht eine des Hinterfragens sein: „Warum machen wir das bisher immer so? Können wir es auch anders machen? So, dass die Kinder mehr mitentscheiden, mitbestimmen können? Denn ein Mehr in Hinblick auf Mitentscheidung und -bestimmung ist auf jeden Fall ein Ziel!”
Warum ist Partizipation wichtig?
Stellen wir uns zunächst die Frage umgekehrt: Was könnte gesamtgesellschaftlich passieren, wenn Partizipation nicht ermöglicht würde? Die Gefahr besteht, auch im Rahmen zunehmender Digitalisierung und Nutzung sozialer Medien, Filterblasen auf den Leim zu gehen und das kritische Denken, auch das Aushalten von (gesellschaftlichen) Widersprüchen nicht in geschütztem Raum einüben zu können. Demokratiebildung heißt auch, Fehler machen zu dürfen (FAIL = first attempt in learning!), die Meinung zu ändern, mit Haltungen spielerisch um-gehen zu lernen. Bei den Diskussionen bestand Konsens über den Zusammenhang von Teil-habe und Demokratie. Demokratiefähig werden bedeutet unter anderem, Selbstwirksamkeit zu erleben, Kompromissfähigkeit zu erlernen, gefragt und gehört zu werden. Überdies kam vielfach die Haltung zum Ausdruck, von den Kindern und Jugendlichen lernen zu wollen, eine Neugierde auf die Gedanken und Ideen, eine Freude auch über eine gewisse Leichtig- und Heiterkeit, die auch einen durchaus positiven Einfluss auf die kreativen Prozesse haben können.
Mehr Partizipation ermöglichen!
„Die Ideen sind kleine Geschenke von den Kindern.“
Wo und in welcher Weise können mehr Freiräume entstehen? Die Diskussion wurde konkreter. Hier einige der Ideen der Teilnehmenden:
- Kinder brauchen Raum, um sich auszuprobieren, um Fehler machen zu dürfen.
- Kinder und Jugendliche brauchen Zeit, Ressourcen (Geld für die, die die Prozesse begleiten), Handwerkszeug (Wie mache ich ein Portal im Internet, Wie organisiere ich eine Demo, …), um sichtbarer werden zu können.
- Wahlrecht ab 10 Jahren?
- Mehr Texte/ Informationen in einfacher Sprache
- Kinder-Tourneetheater bundesweit: Stücke von Kindern für Kinder (in Selbstverwaltung); Erwachsene dürfen im Publikum sitzen
- Als Geist verfolgen Erwachsene die Wünsche und Ideen der Kinder
- Methoden / Tools für Kinder und Jugendliche entwickeln und mitgeben, um sie in gewissen Rahmen, angeleitet zu ermächtigen, damit sie sich selbst verwalten (können)
- Informationen, Anregungen sind erforderlich, um etwas voranzubringen.
- Mit dem, was gegeben ist, arbeiten.
- Der Entwicklungsstand des jeweiligen Individuums ist wichtig.
- Theater schauen und darüber sprechen ist ein wichtiger Baustein um partizipieren zu können
- Partizipation ohne Überforderung: Proben kleinteilig strukturieren/ den Rahmen vor-geben und innerhalb des Rahmens kleine „Selbstbestimmungs-Inseln“ bieten. Eigene Rituale erarbeiten lassen, wie wollt ihr eure Probe, jetzt und hier gestalten?
Sichtbarkeit von Partizipation
Wie können wir auch nach außen transportieren, dass mit Mitgestaltung und Mitbestim-mung experimentiert wird? Hier weitere Ideen der Teilnehmenden:
- Durch Plakate und Lieder
- Licht, Musik, Apps
- In kurzen Szenen durch Klassen gehen
- Fotos in Glaskästen ausstellen
- Bericht für Jahrbuch schreiben/ Schülerzeitung
- Trailer stellen
- Podcast aufnehmen
- Imagefilme, Fotos, Interviews aus den Proben von den Teilnehmenden selbst machen lassen
- Beim TUSCHpektakel ein Moderationsteam aus erfahrenen Expert*innen (frühere TUSCH-Teilnehmende) zusammenstellen
Eine Schwierigkeit ist es, dass Kinder und Jugendliche die Rahmenbedingungen nicht selbst festlegen. Sie sind durch Grenzen, Hürden der Schule und der Lehrer*innen bedingt (Noten-zwang, Stundenpläne, Kurse, Uhrzeiten, Raumbelegungen etc.). Trotzdem gilt es auszuloten, wo Freiräume, auch zunächst innerhalb der Grenzen, gefunden und gestaltet werden können. Bei der zunehmenden Digitalisierung ist es überdies wichtig, die Regeln für Bild- und Filmaufnahmen einzuhalten, um eine Atmosphäre des Vertrauens entstehen zu lassen. Eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen – das wurde an dem Nachmittag auch immer wieder als Voraussetzung, althergebrachte Strukturen aufzubrechen, genannt.
Partizipative Prozesse, so lässt sich festhalten, sind immens wichtig für die Entwicklung und Meinungsbildung. Sie können für die Kinder und Jugendlichen als Chance gesehen werden, eine Motivation für die Frage: „Warum gehen wir überhaupt in die Schule“ zu finden. Schule wurde zu lange dominiert von dem Gedanken: „Wer älter ist, ist schlauer und weiß mehr“. Klar, gerade Kinder haben oft Ideen, die sich komplett von denen der Erwachsenen unter-
scheiden, aber liegt nicht auch da ein Reiz, diese Ideen zusammenzubringen? Könnte da nicht auch Theater gleichsam als „Sprachrohr in der Schule“ fungieren? Und darüber hinaus für weitere politische und gesellschaftskritische Themen?
Mit einer gemeinsame Abschlussrunde im Plenum, nachdem die Teilnehmenden die Gelegenheit wahrnahmen, die Arbeitsergebnisse der anderen Gruppen anzuschauen, endete der Workshopteil. Eine wunderbare Idee: Schon zu Beginn der Veranstaltung wurden die Teilnehmenden darum gebeten, „Goldklümpchen“, also positive Gedanken und Erkenntnisse zu sam-eln und aufzuschreiben, damit sie dann zum Schluss in der „Schatzkiste“ (hier auf einer Pinnwand) landen und die anderen inspirieren können.
TUSCHpektakel vom 24.-27.6.2024 im Gallus Theater
Für diesen letzten Teil des Nachmittags blieben nur die TUSCHler*innen. Vorgestellt wurden der Stellproben- / Bühnenbegehungsplan und der Spielplan für das TUSCHpektakel, einige Partnerschaften haben bereits einen Tausch bei den Stellproben abgesprochen.
Einige Bitten wurden im Plenum geäußert: Die Gastklassen / -gruppen sind nötig für eine gute Stimmung im Saal mit ausreichendem Publikum. Diese Gruppen aber sollten unbedingt gut vorbereitet werden vor dem Besuch darauf, was es heißt, dort auf der Bühne zu stehen und vor allen Menschen zu präsentieren. Wir wünschen uns eine Atmosphäre der Wertschätzung. Vielleicht kann diese auch schon im Vorfeld geschaffen werden, indem die Gastgruppen zu einer Probe eingeladen werden, indem mit ihnen über Theater geredet wird. Die Moderation auf der Bühne im letzten Jahr wurde teils als schwach empfunden, es besteht der Wunsch, die Moderator*innen besser vorzubereiten, vielleicht auch schon im Vorfeld mit den Gruppen ins Gespräch zu gehen. Das TUSCH Team sammelt weiterhin Ideen zu Formaten und deren Umsetzungen.
Ausblick
„Der Zauberstab versteinert die Erwachsenen, damit sie die Klappe halten!“ – dieses Zitat, ganz zu Beginn der Veranstaltung geäußert, schwebte in seiner flapsigen Leichtigkeit ein wenig über der Veranstaltung. Insgesamt war der Nachmittag ein äußerst bereichernder, die Diskussionen wurden engagiert und auf hohem Komplexitätsniveau geführt. Dass an dieser Stelle kein abschließendes Resümee gezogen werden kann, versteht sich bei der Prozesshaftigkeit der angestrebten Ziele, von selbst. Deutlich war eine positive Grundstimmung dem Thema gegenüber zu spüren und auch die Bereitschaft der Teilnehmenden, neue Wege zu gehen, vielleicht bis hin zur strukturell verankerten Partizipation von Kindern und Jugendlichen beim Programm TUSCH selbst. Laden wir sie zum nächsten Workshop ein und fragen sie selbst!