Ernst-Reuter-Schule 1 & Kortmann&Konsorten

Schule und Theater sind laut.

Sam Logan

SEIT: 2021/22
ANSPRECHPARTNER*IN: Sarah Kortmann
Ole Bechthold
Samuel Logan
WUNSCH: Schüler*innen sollen erkennen, dass der DS-Unterricht auch außerhalb von Schule Relevanz hat und Berührungsängste dem Theater gegenüber abgebaut werden.

TUSCHpektakel 2024

„Aus den Ärschen, aus dem Sinn – wo geht uns’re Scheiße hin?“

Wie auch in den vergangenen Jahren hat sich die Partnerschaftsarbeit nicht auf eine Gruppe beschränkt – waren es anfangs noch drei DS-Kurse, die Unterstützung vom Partnertheater erhielten (Beratung, Dramaturgie, inputs) so waren es in diesem Jahr zwei Gruppen, wobei ein Großteil der Zusammenarbeit sich auf die erste Gruppe beschränkte, da es nicht allein um Theater- sondern auch um Forschungs- und Recherchearbeit mit dazugehörender Ex­kursion zur Kläranlage in Frankfurt Niederrad ging. Die Partnerschaft ist im letzten Jahr der TUSCH-Förderung angekommen, aber noch nicht zu Ende: ab dem nächsten Jahr wird die Ernst-Reuter-Schule 1 mit Kortmann&Konsorten ein „kunstvoll“ Pro­jekt durchführen!

Ausgehend vom illustrierten Essay „Aus den Ärschen, aus dem Sinn“ von Felix Bork hat sich diese Gruppe der Kooperation mit dem normalerweise im Alltag verdrängten Thema Ab­was­ser beschäftigt. Als Methode haben sie das dokumentarische Theater nach Peter Weiss ge­wählt, mit dem sie sich auch theoretisch beschäftigt haben.

Das Stück basiert neben dem o.g. Text auf Interviews, die die Schüler*innen mit Men­schen geführt haben, die beruflich mit Abwasser zu tun haben (Reinigungskraft, Rohr- und Kanalreiniger*in, Chemielaborant*in, Klärwerkarbeiter*in). Nach Weiss wird das Material „im Inhalt unverändert, in der Form bearbeitet“ auf der Bühne präsentiert. Die Stimmen kommen durchweg vom Band und sind teils mit Effekten verfremdet, und auch mit der Form des Interviews wird meist nicht-naturalistisch umgegangen. Choreografien zu inhaltlich pas­senden Musikstücken ergänzen das Stück, durch das verschiedene Moderator*innen füh­ren. Die Produktion verbindet einen wissenschaftlich-aufklärerischen Impetus mit Pennäler­hu­mor, ein Vorgehen, das das junge Publikum durchaus ansprach, wie schon die Reaktion auf den Beginn zeigt, bei dem drei Mädchen in Männermanier nebeneinander in ein Becken uri­nieren, mit den entsprechenden Geräuschen vom Band.

Die fantasievolle und abwechslungsreiche Gestaltung begeisterte aber auch: der Kampf zwischen Klobürsten und Pömpeln, der die Schwierigkeit der Rohrreinigung darstellte, ein Ninja Turtle Tanz (diese leben ja in Kanälen) und die Wasserreinigung in Klärwerken wurde mit body performance dargestellt. Auch ein Umweltingenieur kam zu Wort: In einer absurden Quizshow stellte er Fragen, bei denen diejenige gewann, die die unglaubwürdigs­ten und albernsten Antworten gab. Das Publikum merkte, dass der Umgang mit diesem tabuisierten Thema den Schüler*innen Spaß gemacht hat und war von der Präsentation be­geistert.

Wir! Sind hier!

Ole Bechthold & Katja Pahn

Ganz anders hat die zweite DS Gruppe der Schule gearbeitet. Angefangen hatten sie auf Wunsch der Schüler*innen mit dem Thema „Diskriminierung“. Das war auch der Tatsache ge­schuldet, dass sie am Ende der 11. Klasse hierzu im Rahmen der Zertifizierung der Ernst-Reuter-Schule 1 zur „Schule ohne Rassismus- Schule mit Courage“ gearbeitet hatten. Sie la­sen Auszüge aus Stephan Anpalagans „Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft“ und haben dazu gearbeitet. Hierüber sind sie auf die Frage nach Gründen für Migration ge­stoßen, die sie versucht haben, tänzerisch darzustellen. Bald wurde klar, dass sie die Dinge, die sie bewegen, nicht realistisch auf der Bühne zeigen wollen. Auch kamen sie ein wenig vom Thema Diskriminierung weg, hin zu der Frage, wie eine Gesellschaft aussehen muss, in der sie gerne leben. Da ist ihre wichtigste Übereinkunft: „Wir wollen eine Gesellschaft mit Zu­sammenhalt und Solidarität mit allen.“ Die Gruppe hat weitgehend allein mit der Lehrerin ge­arbeitet, aber einen Workshop mit dem Schauspieler Ole Bechthold zum Thema „Theater­spielen und Methoden“ gemacht, der allen viel Spaß gemacht hat.

            Vieles an der Performance war beeindruckend: zunächst die Ensemblearbeit, das auf­einander Achten in der gesamten Gruppe, die gemeinsame Körperarbeit auf den verschiede­nen räumlichen Ebenen, im Pulk, auf einem großen Haufen, sich langsam nach rechts, dann nach linksdrehend, das gemeinsame Stehenbleiben und wieder Weitermachen, ohne Worte, dazwischen jedoch Monologe einzelner zu Herkunft, Identität und. Erstaunlich: anders als sonst im „Biografischen Theater“ üblich, wollten die Schüler*innen (wie auch schon die der Schule am Mainbogen) ihre eigenen Texte, ihre eigenen Erfahrungen selbst mitteilen. Unter­brochen wurde das Spiel durch eine Publikumsbefragung zum Thema „Diskriminierung“, aber auch durch Tanzeinlagen und ein „Stille Post“ Spiel, bevor die gesamte Gruppe zum Schluss wieder einen engen Kreis ganz dicht am Bühnenboden bildete. „Sollte es nicht egal sein, wo man herkommt?“

Projekt 2024

Im dritten Jahr der Kooperation zwischen der ERS1 und Kortmann & Konsorten unterstützt der Schauspieler Ole Bechthold den DS-Kurs von Samuel Logan im Jahrgang 12 bei der Entwicklung eines dokumentarischen Theaterstückes zum Thema „Ab/Wasser“. Basierend auf Dokumenten und Interviews mit Menschen, die beruflich mit der Wasserversorgung zu tun haben, sollen die Funktionsweise und die Bedeutung dieses Teils unserer Infrastruktur gezeigt werden und das Tabu, das sie umgibt, hinterfragt werden. Die Schüler*innen profitieren darüber hinaus von Theaterbesuchen bei Inszenierung von „Kortmann & Konsorten“ mit anschließendem Publikumsgespräch. Die Lehrkräfte konnten bei einem Probenbesuch Einblick in die Rolle der Spielleitung im Profitheater gewinnen.

TUSCHpektakel 2023

In diesem Jahr hat sich die Kerngruppe, einer der drei DS Kurse Jahrgang 12 an der Schule, mit „Die Ausnahme und die Regel“ von Brecht beschäftigt und ihre Arbeit als Live-Hörspiel auf die Bühne gebracht – eine Innovation bei TUSCH! Das Grundthema war die Funktions­weise des Kapitalismus. Die Schüler*innen schlüpften abwechseln in die Rollen, chorisches Sprechen wechselte mit Musik und (vom Lehrer eigens komponierte Musik im Stil von Kurt Weill) Gesang. Der Chor singt: „Und wenn es gut geht, geht es gut; und wenn es schlecht geht, geht es schlecht. Und das ist gut so.“ Die bittere Geschichte vom Träger, Führer, Trei­benden und Schlepper eskaliert, der Führer wird entlassen, die Szene endet in Mord; die Spielenden werfen ihre Rollen ab, am Schluss bleibt der Chor. Befremden wollte die Gruppe beim Publikum auslösen und Gedanken eher denn Gefühle. Und Gedanken über Ungerech­tigkeit befanden sich sicher in jedem Kopf der Zuschauenden!

Projekt 2023

Die TUSCH-Kooperation im zweiten Jahr ist wieder im Jahrgang 12 angesiedelt. Nachdem der Künstler Ole Bechtold den Startworkshop als Schauspieltraining für alle drei Kurse in diesem Jahrgang durchgeführt hat, widmet er sich nun in Zusammenarbeit mit dem Theaterlehrer Samuel Logan der Inszenierung von Brechts Lehrstück „Die Ausnahme und die Regel“. Der in diesem Stück vorgesehene Chor ermöglicht es vielen Schüler*innen gleichberechtigt zum Einsatz zu kommen. Darüber hinaus wird in der Inszenierung das Spiel vom Sprechen getrennt: die Schüler*innen spielen live zu vorher aufgenommenen Audios. Kortmann&Konsorten haben an der Schule ein Gastspiel mit ihrem Stück „Me.Hauser“ gegeben. Geplant ist auch der Besuch einer Probe des Ensembles durch Lehrkräfte der Schule, die dadurch Einblicke in die Prozesse der Stückentwicklung und die Probenprozesse eines Profitheaters bekommen können.

TUSCHpektakel 2022

Die letzte Präsentation am Mittwochnachmittag zeigte einer der drei DS-Kurse der Ernst-Reuter-Schule 1 in Kooperation mit Kortmann und Konsorten, auch eine neue Partnerschaft. Alle drei haben sich mit den Metamorphosen von Ovid beschäftigt und nach Wegen gesucht, für die heutige Zeit relevante Essenzen zu finden, was allen drei Gruppen auch unbedingt ge­lungen ist! Mit “Sind wir nicht alle ein bisschen Narziss?” begannen die mehr als 20 jungen Erwachsenen. In moderner Jugendsprache setzten sich die Spieler*innen in schwarzen Grundkostümen mit dem Thema auseinander. Die vielen Kursteilnehmer*innen haben einen Chor aufgestellt, der kommentiert, die einzelnen Szenen sind durch BLACKs, Discolicht und -Musik getrennt. Der ganzen Inszenierung muss man ungeheuren Sinn für Komik attestieren, nicht zuletzt, weil am Ende aus Narziss eine Narzisse wird, die von einer alten Frau gegossen wird. In sechs Szenen wird die Geschichte von der Zeugung (Cephisos und Liriope, in ange­deuteter Sexszene, wobei es im Original eine Vergewaltigung ist), Schwangerschaft und Ge­burt des Narziss, die Begegnung mit dem Seher Teresias, Narziss als junger Mann im Muscle Suit, umwoben von Schönheiten, die er ablehnt, auch die Nymphe Echo wird von ihm abge­lehnt, ein Zwischenspiel mit Kondomwerbung folgt, die Verfluchung des Narziss durch Aphrodite, die Selbstverliebtheitszene am Wasser (er tanzt mit dem Chor „Macarena“) bis zu der Erkenntnis seines Dilemmas (Musik: „Lonely“ von Akon). Freud taucht als Gelehrter auf und er­klärt die Begriffe Narzissmus, Selbsthass und Selbstliebe. Da steigen die Spieler*innen ein und erzählen nun ihrerseits, was für sie Selbstliebe bedeutet. So wechseln sich Solosätze mit Echos und Chorischem ab; das Stück gewann dadurch an Tempo, hatte tiefe Elemente und war gleichermaßen wunderbar energetisch und unterhaltsam, was nicht zuletzt an den aus­geklügelten Requisiten lag.


Mit „Ein Hauch von Glück” – frei nach “König Midas”, wiederum aus den Metamorphosen des Ovid war die Gier, hier das zentrale Motiv, etwas, zu dem auch die Schüler*innen sofort einen un­mittelbaren Zugang fanden.

Nach einem rauschenden Fest (herrliche Tanzszenen und Kostüme) wird Selenos al­leine betrunken zurückgelassen, jedoch dann von Midas und seinen Begleitern zu Dionysos zurückgebracht. Midas erhält seine Belohnung: alles, was er berührt, wird zu Gold. Mit Witz, Tempo, viel Slapstick und chorischen Kommentaren wird die Handlung vorangetrieben und es kommt, wie es kommen muss: Versehentlich verwandelt Midas seine geliebte Tochter (ein großer junger Mann mit Bart, Rock und Federboa) in Gold und dann, aus Verzweiflung darüber, sich selbst. Fazit: denk an das, was du hast und nicht an das, was dir fehlt… Brau­sender Applaus war der Gruppe, die ebenfalls mit Kortmann und Konsorten gearbeitet hat, sicher!

Launig klang der Donnerstagnachmittag mit der dritten Gruppe der Ernst-Reuter-Schule 1: Wieder begegnet den Zuschauer*innen eine weitere Fi­gur aus den Metamorphosen, der Titel: „Pygmalion – ich mach dich, wie du mir gefällst!“ Nicht nur Ovid, auch George Bernard Shaw standen hier Pate. Es ist die Erzählung der be­kannten Geschichte mit vertauschten Rollen: es geht um einen jungen Drogendealer, der von einer Sprachwissenschaftlerin zum Jungunternehmer gemacht wird, aber am Ende in keine der gesellschaftlichen Schichten wirklich Zugang findet. Die Idee der Schüler*innen: es gab eine Maschine, bestehend aus zwei Spielerinnen, in die der Probant hineintreten musste, um seine Sprache zu verbessern: Er musste solange Sätze der Maschine nachspre­chen, bis diese ihn freigab. Bei falscher Aussprache kollabierte die Maschine. Diese visuali­sierte Form der Sprecherziehung kam sehr gut an beim Publikum. Das Ende (natürlich) wie­der bitter: Der Mann wird aufgrund seiner hochgestochenen Sprache von seinen ehemaligen Bekannten abgewiesen; als Jungunternehmer hat er auch keinen Erfolg. Sein Monolog: er gehöre nun zu keiner Gesellschaft mehr, die Welten passten nicht zusammen, er passe we­der in seine alte “Unterschicht” noch in die “Oberschicht”. Das Ganze endet mit einer Kritik an der Sprachwissenschaftlerin: Im chorischen Sprechen der Spielen­den, ganz in schwarz ge­kleidet: so könne man nicht mit einem Menschen umgehen, wie sie es getan hat.